Die Free-flow Turbine

Schon von Anfang des letzten Jahrhunderts datieren die ersten Patentschriften, die davon zeugen, dass sich schon lange Gedanken darüber gemacht werden, wie die kinetische Fließenergie der Flüsse auch ohne Staustufe und Stausee zu nutzen wäre. Immer neue Entwürfe wurden seither gemacht, aber die Schwelle zur wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Staustufe konnte lange auch nicht annähernd erreicht werden.

Eine Version der sogenannten free-flow turbine, die sich Kinetic Hydro Energy Conversion System (KHECS) nennt und als No. 4,613,279 in 1986 zum U.S.-Patent angemeldet worden war, hielt nun aber das U.S. Department of Energy (DOE) einer eingehenden Prüfung für wert.

Das Idaho National Engineering Laboratory (INEL) wurde 1995 mit einer ersten Marktanalyse beauftragt, und in Pakistan wurde eine Pilotanlage installiert. Die New York University (NYU) erstellte 1994 eine Wirtschaftlichkeitsberechnung mit positivem Ergebnis, und die Firma AeroVironment dächte an die Markteinführung. inzwischen wird die Konzeption unter der Bezeichnung KHPS von der Firma Verdant Power propagiert.

Wäre das eine realistische Möglichkeit?

Betrachten wir dazu den Extrakt der Studie der NYU, wie er in der Analyse des INEL wiedergegeben ist:

"New York University free-flow turbine costs, indexed from 1986 dollars to 1994 dollars at 4% inflation rates.

Assumption
Turbine diameter 4.3m (16.4 feet)
Average river flow 6.6fps (4.5 mph)
Average rotor capacity 45%
Transmission efficiency 92%
Average load matching capacity 90%
Duty fact 95%
Capital cost $ 49,036
Annual maintenance cost (5% capital cost) $ 2,452
Annual capital payment (12%, 20 years) $ 6,565
Total annual cost $ 9,017
Average power 59.50 kW
Average power output 21.06 kW
Annual power output 184,486 kW/h
Total kWh cost of electricity 4.89 cents/kWh "

Nachdem wir die Rechnung der NYU kritisch durchgegangen sind, resümieren wir:

Diese free-flow turbine ist zweifellos besser als die bislang einzig bekannte Wasserkraftmaschine ohne Staustufe, das für die Elektrizitätserzeugung aber unrentable Stromrad. Konkurrenzfähig ist sie jedoch nicht. Die Rechnung der NYU ist zu optimistisch.

• Allein schon das Überschlägliche, als Ausbeute 45% dessen anzunehmen, was einen Querschnittsstreifen von der Breite des Rotordurchmessers passiert, ist zu wohlwollend.

• Schon vor Berücksichtigung von transmission efficiency, average load matching capacity und duty factor ist die physikalisch mögliche Ausbeute

½ × ρ × A × v³ × cp = 500 × 14,5 × 5,2 × 0,5 = 18,85 kW

und mit den genannten Faktoren ergibt sich nur noch

18,85 kW × 0,92 × 0,9 × 0,95 = 14,83 kW

als 'average output' statt der 21,06 kW.

• Weiter werden uns ohne Flussbaumaßnahmen selten eine Wassertiefe von 5,4 m bei 1,73 m/s Fließgeschwindigkeit als MQ ohne weiteres zur Verfügung stehen; die Investitionskosten werden also allermindestens 20 bis 25% höher liegen.

• Bei keiner Wasserkraftanlage der Welt sind alle 8760 Stunden eines Jahres auch die jährlichen Betriebsstunden, sondern es sind in der Regel umgeschichtet nur 5000 Vollaststunden. Und wenn man 7500 Stunden, also 50% mehr, annähme, ergibt sich nach den obengenannten Korrekturen und bei den hier schon günstig gewählten Abmessungen ein Kilowattstundenpreis von 9,73 cents/kWh, also bereits das Doppelte jener 4,89 cents/kWh.

Auch das INEL relativiert die von der NYU errechneten 4,89 cents/kWh, indem es heißt "The free flow turbine appears able to produce electricity well below 10 cents per KWh". Und es wird angemerkt, dass die Analysen von NYU und AeroVironment "may contain optimistic performance and cost assumptions".

Ein weiterer Kostenfaktor, der bei diesem Konzept ganz übersehen wird, käme noch hinzu, nämlich der zu ständig zu wiederholenden Reparaturen führende Abrieb an den Propellerflügeln durch im Wasser mitgeführten Sand. Die Rotorblattenden bewegen sich bei dem von der NYU gewählten Beispiel eines Dreiblattrotors und einer für ihn günstigen Schnellaufzahl λ = 4 mit einer Geschwindigkeit von 7 m/s relativ zum Wasser; einer Anströmung von nicht geringer Schmirgelwirkung. Da der Rotordurchmesser bei 80% der Wassertiefe liegen soll, wird zusätzlich Sand vom Grund aufgewirbelt, und es gemahnt dies an Saugbaggerschiffe, von deren Schiffsschrauben das Problem der Sandabrasion bekannt ist. Sandturbinen, wie sie z.B. im Gelben Fluss in China verwendet werden müssen, sind aber nun wesentlich teurer.

Da möchten wir dann doch den Einsatz der free-flow turbine auch dort in Frage stellen, wo ihn das INEL hauptsächlich sieht: in 'less developed countries'. Und auch wo man sich das technisch anspruchsvolle Industrieprodukt free-flow turbine auf breiter Basis leisten könnte, wird man sich mit Recht überlegen, ob man nicht günstigere Stromerzeuger kaufen sollte.

In Meereströmungen hingegen, wo die Wassertiefe ungleich größer ist, könnte sich der Bau etwaig rechnen, und er ist vor Britanniens Küste unter den Namen SeaFlow und SeaGen auch testweise in Angriff genommen worden. Die Bedingungen der See bescheren allerdings wieder andere, nicht unerhebliche Kosten, die mit Kostendegression einer Skalierung aufgefangen werden müssten, die dafür ökonomisch schwer zu schaffen ist.


Mantelturbine

Könnte die Konzeption Mantelturbine bessere Ergebnisse erbringen?

Unter einer Mantelturbine versteht man eine Turbine wie oben, welche von einem waagerechten Hohlzylinder umschlossen ist, dessen Wandung im Längsschnitt ein Tragflügelprofil mit Wölbung nach innen bildet.

Das Tragflügelprinzip bewirkt auch hier eine Erhöhung der Strömungsgeschwindigkeit und für die Turbine eine Leistungssteigerung um den sog. Konzentrationsfaktor von maximal K = 3,5.

Betrachten wir anstelle der kaum je vorzufindenden 5,4 m Wassertiefe einmal eine solche von 3 m und behalten die angenommene Fließgeschwindigkeit von 1,73 m/s bei. Der Rotordurchmesser könnte hier höchsten 2 m werden.

Die Leistung der Turbine oben war 14,83 kW. Bei dem nunmehrigen Diameter von 2 m wäre die Leistung ohne Konzentrator 3,2 kW, und mit dann 11,2 kW.

Zwar ist eine Turbine mit Durchmesser 2 m natürlich billiger als eine mit D = 4,3 m, aber weil der Konzentrator kaum weniger als die Differenz kostet, ist letztlich nichts gewonnen.

Lutz Kroeber 2009 Transverpello